Schwerpunkt SchulKinoWoche Thüringen/Sachsen-Anhalt 2023
Demokratie wagen
„Wir wollen mehr Demokratie wagen“, so umriss der damalige Neukanzler Willy Brandt am 28. Oktober 1969 sein Politikprogramm. Dieser Satz ist längst in die Sammlung berühmter Zitate der deutschen Geschichte eingegangen. Doch was bedeutet er heute noch? Für die Beantwortung der Frage lohnt sich ein Blick auf die Sätze, die in seiner Rede dem berühmten Zitat vorausgingen: „Solche demokratische Ordnung braucht außerordentliche Geduld im Zuhören und außerordentliche Anstrengung, sich gegenseitig zu verstehen.“
Überall ist heute vom einander Zuhören die Rede, doch ist es eher lauter geworden in gesellschaftlichen Diskussionen, ob in Talkshows, Sozialen Medien oder Parlamentsdebatten. Zwischen Beifall und Ablehnung scheint es nur noch wenig Raum zu geben. Der Ton ist rau allerorten. Ein Jahr vor Kreis- und Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen-Anhalt heißt es, die Demokratie sei in Gefahr.
Warum ist die Demokratie immer noch ein Wagnis?
Weil sie es notwendig macht, zu reflektieren, tiefliegende Überzeugungen und Gewohnheiten zu hinterfragen und nicht sofort jedem Impuls der Erwiderung zu folgen. Insbesondere das Kino wagt es, sich einem Thema, einer Biografie, einer Geschichte behutsam zu nähern und aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Das Publikum ist aufgefordert, sich eine Filmlänge ein Bild zu machen, Meinungen und Geschichten auszuhalten, sich mit Biografien und Fakten zu konfrontieren. Der Film macht es uns möglich, Neues zu entdecken, etwas anderes zu fühlen und zu denken als zuvor. Das soll nicht heißen, dass der Film, sei er Fiktion oder dokumentarisch, ein neutrales Medium ist, das keine Haltungen transportiert. Er kann hochgradig manipulativ sein und über Emotionen Einfluss nehmen. Dennoch schafft er Raum, sich Gedanken zu machen, die Macht und die Gemachtheit der Bilder zu hinterfragen. Und tiefer einzutauchen in ein Thema oder eine visuelle Vision. Das Kino ist keine politische Instanz. Es ist nicht der Kitt einer gespaltenen Gesellschaft und kann keine Aufgaben der Politik übernehmen.
Doch es ist ein gemeinschaftliches Erlebnis, das uns aus der isolierten Echokammer führt. Es bietet die Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen und Gedanken zu teilen. Und wenn wir am Ende an Themen oder Diskussionen scheitern, so bleibt uns immer noch die gemeinsame Erinnerung. Auch das ist Demokratie.